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Inhalt Band 1
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Buchseite 1 Erster Teil.

Einleitung.


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Aus der Entstehungsgeschichte des Systems.



Es sind jetzt reichlich 20 Jahre her, dass mit den Vorarbeiten zu diesem Systeme begonnen wurde.

Die Reichstagswahl 1878 hatte auch Schreiber dieses zur aktiven Beteiligung an der Politik gerufen — als praktischen Landwirt selbstverständlich auf Seiten der Schutzzoll-Partei. Die nachfolgenden Reichstags – Verhandlungen wurden mit ganz besonderer Aufmerksamkeit verfolgt; ebenso die Tages- und Flugschriften-Litteratur. Inzwischen war für mich auch die Zeit der Verselbständigung als Landwirt gekommen. In Bayern, Württemberg, Baden, Hessen und Preussen wurden der Reihe nach Versuche gemacht, einen passenden landwirtschaftlichen Besitz zu pachten oder zu kaufen. In all’ diesen Fällen ging eine sorgfältige Kalkulation über den voraussichtlichen Reinertrag voraus, wobei angesichts der erst beginnenden landwirtschaftlichen Konkurrenz Nordamerikas unmöglich für die nächste Zukunft mit steigenden oder auch nur gleich bleibenden Preisen der landwirtschaftlichen Produkte gerechnet werden konnte. Ausnahmslos standen damals die Resultate dieser Ertrags-Kalkulation in schreiendem Widerspruch zu dem geforderten Pachtschilling oder Verkaufspreise des Gutes, Buchseite 4 sodass diese unfreiwillige Erhebung mit dem Resultat abschliessen musste: „Wer als Landwirt auf dem freien Grundmarkt sich verselbständigen will, ohne dabei seinen ökonomischen Ruin für absehbare Zeit in Kauf zu nehmen, ist gezwungen, wahrscheinlich nach Nordamerika auszuwandern. Die grosse Mehrzahl der Bauernhöfe in Deutschland wird im Moment der Besitzerwerbung ruiniert. Mit dem Uebergabe- oder Kaufvertrag wird bei andauernd ungünstigen äusseren Verhältnissen auch schon die Subhastationsurkunde mit unterzeichnet.“

Wie war es da möglich, dass angesichts solcher Verhältnisse ein Fürst Bismarck und alle die berühmten Parlamentarier im Reichstage den deutschen Bauernstand schon mit einem Getreidezoll von 10 M. per 1000 Ko. Weizen oder Roggen erhalten und retten zu können glaubten? Ueber all diese Zweifel müssten doch die nationalökonomischen wissenschaftlichen Werke Aufschluss geben! — Die Bibliothek eines Privatdozenten an der Universität München wurde gerade ausgeboten und sofort käuflich erworben. Mit einem wahren Heisshunger wurden all diese Bände verschlungen, und fast einer nach dem anderen voll Enttäuschung wieder bei Seite gelegt. Statt des erwarteten Aufschlusses über das natürliche Wertverhältnis des landwirtschaftlichen Grundbesitzes und seine Beziehung zum landwirtschaftlichen Arbeitsertrag und statt der Entwickelung eines Programms, um das darin enthaltene grundlegende Problem für die Erhaltung des Bauernstandes zu lösen, hatten lange Ausführungen über die Ricardo’sche Grundrenten - Theorie, über die Preisbildung durch Angebot und Nachfrage, über Freiheit des Kredits und der Verschuldung und dergleichen Aufnahme und Verteidigung gefunden: alles Theorien, die wenig oder nichts mit jenem Zustande zu thun haben, wie er sein sollte, um die landwirtschaftliche Arbeit wieder arbeitsfroh zu machen. Buchseite 5 Nur in den Werken von Albert Schäffle, Adolf Wagner, Rodbertus, Lorenz von Stein und Laveleye-Bücher fanden sich Ansätze, deren Weiterführung uns lehren konnte, wie der deutsche Bauernstand zu erhalten ist. Gelegentlich einer eingehenderen Unterhaltung über all’ diese Wahrnehmungen mit dem gleichen Münchener Privatdozenten wurde mir die Aufforderung: „Wenn Du so gescheidt bist und in diesen Dingen besser Bescheid weisst, als unsere wissenschaftliche Litteratur, dann schreibe doch darüber!“ — Ich schrieb und kein Geringerer als Albert Schäffle veröffentlichte meine drei ersten Abhandlungen in der „Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften“ im Jahre 1883, nachdem der 2. und 3. Abhandlung eine wohlwollende Förderung vorausgegangen war. Kritische Einwendungen, welche mir darauf von Schmoller und Anderen gemacht wurden, mit den reichen Anregungen, welche ich der 1883 erschienenen bahnbrechenden badischen Agrarenquête von Buchenberger verdankte, liessen dann meine im Jahre 1885 bei Laupp in Tübingen erschienene mehr theoretische Schrift „Ueber das natürliche Wertverhältnis des landwirtschaftlichen Grundbesitzes“ entstehen, mit welcher ich nicht nur meinen Wertbegriff, sondern auch die Grundlinien meines Systems gefunden hatte.

Danach war mir der Wert des landwirtschaftlichen Grundbesitzes nicht gleich dem, in den einzelnen Fällen gezahlten, Grundpreise, er war auch nicht gleich dem, durch Taxatoren ermittelten Taxwert. Ebenso wenig war mir der wahre Grundwert unter allen Umständen gleich dem Ertragswert. Der Ertrags-Wertanschlag war vielmehr nur so lange geeignet, sich mit dem wahren Wert des landwirtschaftlichen Grundbesitzes zu decken, als die landwirtschaftliche Arbeit ihre Produkte bei extensivem Betriebe so zu sagen „aus dem Boden schöpfte“. Durch den Uebergang zum intensiveren Betriebe veränderte sich dieser WertBuchseite 6begriff in der Weise, dass nun der wahre Wert gleich war dem Ertragswert bei extensivem Betriebe plus nachweisbar und rational investirtes Kapital, mit anderen Worten: der wahre Wert der landwirtschaftlichen Grundstücke ist heute in Deutschland der „Buchwert“ oder „Sachwert“, der sich seinem Wesen nach als rationelle Combination der Produktions- und Reproduktionskosten erklären lässt.

Es war mir eine ganz besondere Freude, inzwischen mich davon überzeugen zu können, dass die grossen landwirtschaftlichen Buchführungsinstitute, und zwar vor Allem auch das unter der Leitung des Prof. Dr. Howard in Leipzig stehende, aus eigenen Erwägungen diesen „Buchwertbegriff“ längst in die Praxis der landwirtschaftlichen Buchführung eingeführt haben. Die deutsche Gesetzgebung kennt sogar noch ein früheres Beispiel dieser Anwendung des Buchwertbegriffes, denn das deutsche Bankgesetz vom 14. März 1875 bestimmt in seinem § 41, Absatz a, wörtlich: „Das Reich behält sich das Recht vor . . . die Grundstücke der Reichsbank gegen Erstattung des Buchwertes zu erwerben.“ —

Die national-ökonomischen Konsequenzen dieses Buchwertbegriffes aber sind von tief einschneidender prinzipieller Bedeutung:

Während der Ertragswertanschlag den Arbeitserfolg des Wirtschafters nach den ortsüblichen Lohnverhältnissen bestimmt und den Ertragszuwachs kapitalisiert zum Grundwert schreibt, verzichtet der Buchwert auf diese wenig selbständige Anlehnung an den Lohnmarkt für Hilfsarbeiter und betrachtet den Wirtschaftsertrag vor allem als den ökonomischen Ausdruck für die Tüchtigkeit des selbständigen Wirtschafters.

Die Formel des „natürlichen Arbeitslohnes“ lautet demnach für uns: „Nicht der Ertrag von Arbeit und Kapital am Rande des isolierten Staates (v. Thünen), noch Buchseite 7 der Ertrag des Rodungslandes am Rande der Civilisation der Kolonialländer, sondern der wirkliche Ertrag des selbständigen Wirtschafters in seiner Wirtschaft ist die naturgemässe Vergeltung seiner Arbeitsthätigkeit.“

Damit wird das Problem des natürlichen und gerechten Arbeitslohnes zur Mittelstandsfrage, wobei wir unter Mittelstand jeden Arbeiter verstehen, der Eigentümer seiner Produktionsmittel und jedem Dritten gegenüber selbständig verantwortlich ist. Und die Mittelstandsfrage in diesem Sinne wird logischer Weise zwei Seiten haben, nämlich: das Problem der Preisbildung für die Produktionswerkzeuge und das Problem der Preisbildung für die Arbeitsprodukte. Die Einführung des Buchwertes für den Besitzerwerb der selbständigen Landwirte bedeutet die Lösung dieser Lohnfrage als Mittelstandsfrage nach der ersteren Seite, weil sie klar und reinlich verhütet, dass die fortschreitende Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit von der Preissteigerung der Produktionswerkzeuge und den daraus fliessenden „Grundschulden“ verzehrt werde.

Diesem Arbeitslohnbegriffe des selbständigen Mittelstandes gegenüber ist der Arbeitslohn der Hilfsarbeiter ein abgeleiteter Begriff, der unter gut geordneten volkswirschaftlichen Verhältnissen in seiner Höhe von dem Arbeitserfolge des Mittelstandes reguliert wird und sich diesem parallel bewegt. Unsere moderne sozial-politische Litteratur, die seltsamer Weise den Versuch macht, die Arbeitslohnfrage an dem Lohnarbeiter allein befriedigend zu lösen, hat sich in eine Sackgasse verlaufen und die grosse breite Heerstrasse noch gar nicht betreten.

All diese Sätze müssten sich namentlich durch umfassendere Heranziehung der Geschichte in dem Rahmen eines selbständigen Systems zwingend erweisen lassen! Mit dieser Erwartung besuchte ich im Herbst 1885 die Universität. —

Buchseite 8 Inzwischen waren in den Jahren 1885, 1886 und 1887 die Preise für Getreide, wie für die meisten landwirtschaftlichen Produkte immer billiger geworden, trotzdem der Zollsatz von 1879 zunächst verdreifacht und dann verfünffacht worden war. Auch der Agrarfrage, die ja nur ein Teil — wenn auch der wichtigste — der Mittelstandsfrage ist, enthüllte sich damit das Problem der gerechten und natürlichen Preisbildung für landwirtschaftliche Produkte als ein wesentlicher Teil der Frage des gerechten und natürlichen Arbeitslohnes in der Landwirtschaft. Es war hinfort ausgeschlossen, den Bauernstand durch Massnahmen erhalten zu wollen, welche sich ausschliesslich mit einer Ordnung der Preisbildung für seine Produktionswerkzeuge, also für Grund und Boden vor allem, befasste. Das schien Mitte und Ende der 80er Jahre eine allgemeiner verbreitete Ueberzeugung zu sein. Rasch mehrte sich die Zahl der wissenschaftlichen Studienreisen nach Nordamerika namentlich und damit die Litteratur über die internationale landwirtschaftliche Konkurrenz.

Mir schien indess diese Beschränkung der Augenscheinnahme auf Nordamerika ungerechtfertigt. Nach dem Eintritt der russischen, indischen und australischen landwirtschaftlichen Konkurrenz neben der nordamerikanischen hatte der Weltmarkt für Getreide eine ganz konkrete Bedeutung erlangt, die unmöglich nur von Nordamerika aus zutreffend beurteilt werden konnte. Und neben den landwirtschaftlichen Produktionsverhältnissen musste unzweifelhaft auch den Verkehrs- und Börsen-Verhältnissen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Als deshalb im Jahre 1887 Se. Excellenz, der Herr Staatsminister des Innern, Freiherr von Feilitzsch in München mir den Auftrag erteilte, einen Vorschlag für eine passende Studienreise nach dem Auslande zu machen, konnte ein solcher gar nicht anders lauten, als: eine Studienreise durch die Buchseite 9 wichtigsten Getreideproduktionsländer der Erde zu unternehmen, um auf Grund persönlicher Erhebungen an Ort und Stelle das Ineinandergreifen all jener Teile nachzuweisen, die heute das Ganze des Weltmarktes für Getreide ausmachen. Das Wohlwollen Sr. Excellenz, des Herrn Staatsminister des Aeusseren, Graf von Crailsheim, wie Ihrer Excellenzen, der Herren Grafen Hugo und Ludwig von Lerchenfeld, brachte diesen Plan in die Hände des Reichskanzlers Fürst von Bismarck. Nach kurzen Verhandlungen wurde ich mit Reisegeld und Empfehlungen ausgerüstet und folgende Instruktion vom Fürsten Bismarck mir auf die Reise mitgegeben:

„Sie sind mir empfohlen worden als ein Mann, der nicht nur eine wissenschaftliche Bildung, sondern auch praktisches Verständnis besitzt. Wenn Sie zurückkommen von Ihrer Reise und mir bestimmte Vorschläge unterbreiten können, von denen ich auch nur einen einzigen mir aneigne, dann werden die Resultate Ihrer Reise auch Sie persönlich bald in eine Position einrücken lassen, die Sie befriedigt. Wenn Sie aber zurückkommen und mir nur einen historisch interessanten Bericht erstatten, dann melden Sie sich nachher besser beim Kultusminister.“ —

Im Sommer 1890 kam ich von meiner letzten Reise aus England zurück. Fürst Bismarck war inzwischen aus dem Reichskanzleramte geschieden und das Resultat meiner Studien war zunächst ein rein negatives.

Die internationale landwirtschaftliche Konkurrenz erwies sich nicht als ein Produktionsproblem. Den Landwirten in den verschiedenen Teilen der Erde ging es ungefähr gleich schlecht. Die landwirtschaftliche Notlage war bei den vorausgegangenen niedrigen Preisen für die landwirtschaftlichen Produkte eine internationale. Nirgends Buchseite 10 auf dem Erdenrund waren jene Landwirte zu finden, welche bei den Durchschnittspreisen der 80er Jahre mit Vorteil hätten produzieren können. Eine allgemeine Ueberproduktion in Brotgetreide gab es nicht. Sie konnte also auch nicht die Ursache des Rückganges der Getreidepreise sein.

Die landwirtschaftliche Konkurrenz gewann bei eingehenderem Studium den Charakter eines Verkehrsproblems, wobei freilich sofort eine einseitige oder auch nur überwiegende Zurückführung auf die Veränderung der Transporttarife ausgeschlossen schien. Denn damit war insbesondere die so charakteristische periodisch bald da bald dort hervorbrechende lokale Ueberproduktionswelle in Getreide in keiner Weise zu erklären. Die einmal aufgenommene Frage musste also noch weiter verfolgt werden.

Es kamen die Jahre 1893, 1894 und 1895 mit der argentinischen Getreidekonkurrenz. Das internationale Spiel an den Getreideterminbörsen nahm immer gewaltigere Dimensionen an und es war leicht, den Nachweis zu führen, dass der Blankoterminhandel in Getreide jetzt wesentlich zu der aussergewöhnlich tiefen Senkung der Getreidepreise beigetragen hatte. Die gesetzgeberische Folge dieses Nachweises liess nicht lange auf sich warten.

Gleichzeitig konnten die Ziffern der Produktion und des Vorrats in Getreide immer bestimmter auf eine bald eintretende wesentliche Besserung der Getreidepreise hinweisen, die bekanntlich in der That im Ernteiahre 1897/8 gekommen ist. Nur, dass diese Preisbesserung nicht von Dauer war! In den Vereinigten Staaten von Nordamerika allein hatte der Anreiz der zu hohen Leiter-Corner Preise die Weizenanbaufläche im Jahre 1898 um 9000 englische Quadratmeilen anwachsen lassen. Hiermit trat wieder eine neue Aufgabe hervor, nämlich: die einer positiven Regulierung der Getreidepreise nach der Richtung einer Buchseite 11 möglichst stetigen mittleren Linie, wie es heute nur durch grosse Syndikate der Produzenten möglich wird. —

Die Erschliessung eines umfangreichen Quellenmaterials zu einer Spezialgeschichte der argentinischen Getreidekonkurrenz lehrte ausserdern, dass auf dem Grunde jener charakteristischen lokalen Ueberproduktionswelle in Getreide, mit welcher sich die neuen Konkurrenzländer auf dem Weltmarkte immer einführten, grosse internationale Kapitalverschiebungen sich abspielten. Unter Oberleitung der internationalen Effektenbanken wurden in all diesen Fällen Milliarden den älteren Kulturländern entnommen, um in den betreffenden Ländern mit jüngerer Kultur die landwirtschaftlichen Konkurrenz-Unternehmungen zu „gründen“. Durch den nachfolgenden Zusammenbruch wurden bei den Transportanstalten Abschreibungen möglich, welche eine ausserordentliche Verbilligung der Transportkosten erst zur Folge hatten. Und die durch die Bank und Kredit-Krisis erzwungene Verschiebung eines grösseren Teils der städtischen Bevölkerung nach jungfräulichen Ländereien wurde zur Quelle jener Getreidemengen, welche als Ueberproduktionswelle wenige Jahre später auf dem Weltmarkt erscheinen und die Preise ruinieren. Kurz: Die ursprünglich als ein Produktionsproblem behandelte Frage der internationalen landwirtschaftlichen Konkurrenz entpuppte sich schliesslich als ein durchaus kapitalistisches Problem. Die beiden logisch gegebenen Seiten der Mittelstandsfrage: die Frage nach der Preisbildung der Produktionswerkzeuge und die Frage nach der Preisbildung für die Arbeitsprodukte, erwiesen sich auch als die für die praktische Wirtschaftspolitik konkret gestellten Aufgaben. Im Ganzen aber standen wir hier vor dem tiefen und ernsten Konflikt zwischen Arbeit und Kapital und deshalb vor dem wahrscheinlich wichtigsten Kern der Buchseite 12 eigentlichen sozialen Frage. Mit anderen Worten: die Agrarfrage war zur Sozialen Frage geworden.

War diese Auffassung richtig, so musste sich für ihren Beweis eine breitere Basis noch in der Weise gewinnen lassen, dass aus der Entwicklungsgeschichte jener Völker, die einmal gross und mächtig waren und dann zu Grunde gingen, für die Zeit der entscheidenden Krisis der gleiche prinzipielle Konflikt zwischen Arbeit und Kapital sich nachweisen liesse. Zu diesem Zweck hat die Spezialgeschichte der acht bekanntesten Völker der Weltgeschichte eine sorgfältige Verarbeitung gefunden und siehe da: unsere Vermutung hat sich umfassend bestätigt.

Weil aber die Nationalökonomie nicht nur eine Wissenschaft der Forschung in Beobachtung und Aufklärung des Kausal-Zusammenhanges ist, sondern auch die nicht minder schwierige Aufgabe hat, aus diesen Anhaltspunkten die rechten allgemeinen Konsequenzen für die praktische Politik zu ziehen, musste auch das hier gefundene Problem einer Sicherung des landwirtschaftlichen Produktionsertrages nach der Seite der Preisbildung für die landwirtschaftlichen Produktionsmittel, wie nach der Seite der Preisbildung für die landwirtschaftlichen Arbeitsprodukte in enger Fühlung mit dem Leben und seiner Praxis wirtschaftspolitisch zu Ende gedacht werden.

Für die erstere Hälfte dieser Aufgabe hatte ich bereits im Jahre 1886 Gelegenheit, im Auftrage der 26. Wanderversammlung der bayerischen Landwirte einen eingehenderen Kommissionsbericht zu erstatten, an dessen Feststellung Freiherr von Cetto und Freiherr Hans von Thüngen, wie Ihre Excellenzen die Herren Staatsminister Dr. Buchenberger und Dr. Schaeffle regen Anteil genommen haben. Nicht minder wertvoll war mir auch vor Kurzem die Beteiligung an den Buchseite 13 Vorarbeiten für das neue schweizerische Civil-Gesetz-Buch in der Kommission des schweizerischen Bauernbundes.

Um die grosse Praxis der Getreidepreisbildung und damit der Preisbildung der landwirtschaftlichen Produkte überhaupt zu erschliessen, habe ich mir seit 1898 eine „Getreidepreiswarte“ eingerichtet, in welcher auf Grund zuverlässiger Informationen täglich alle Ereignisse der wichtigsten Märkte, zumeist nach graphischer Methode, aufgezeichnet werden, um damit die Unterlage zur Bildung einer zutreffenden Marktmeinung zu gewinnen. Fand die Vorhersagung der voraussichtlichen Preisbewegung durch den thatsächlichen Verlauf der Preise ihre Bestätigung, so war das offenbar ein experimenteller Beweis für die Richtigkeit der angewendeten theoretischen Grundsätze. Diese meine Getreidepreisvorhersagung hat sich in der Praxis rasch so viel Vertrauen erworben, dass im Frühjahr 1901 rund 2'000'000 Doppelcentner Getreide mit dem Verkauf auf meine Beratung über den günstigsten Zeitpunkt warteten. Auch nach dieser Richtung können deshalb jetzt meine Vorschläge und Ausführungen den Anspruch erheben, dass sie nicht nur grossen, zusammenhängenden theoretischen Erwägungen, sondern ebenso sehr auch den praktischen Erfahrungen des Tages entnommen sind.

Erst mit all diesen Vorarbeiten konnte ich die Vorbereitungen als einigermassen abgeschlossen betrachten, um nun endlich eine zusammenhängende Darstellung der Agrarfrage als soziale Frage zu wagen.

Diese Darstellung selbst hätte dem historischen Gange dieser Idee in einzelnen Monographieen folgen können, was ganz gewiss die weitaus leichtere Aufgabe gewesen wäre. Eine Reihe wichtiger Gründe spricht indessen für die grössere Zweckmässigkeit einer Darstellung im Rahmen eines Systems.

Buchseite 14 Trotz aller Gegenerklärungen herrschen heute die Systeme des Freihandels und des Sozialismus. Diesem wenig erwünschten Zustande gegenüber kann eine neue Ideenrichtung nur in systematischer Darstellung sich Geltung verschaffen.

Die moderne nationalökonomische Litteratur besitzt eine längst unübersehbare Fülle von Monographien, über welche neuerdings grosse Werke mit alphabethischer Anordnung des Stoffes vortrefflich orientieren. Diese Orientierung ist indessen nur eine solche von Fall zu Fall. Eine einheitliche Gesamtübersicht bietet allein ein neues System.

Bei dem unzweifelhaften Reichtum an Mannigfaltigkeit in den Fragen der heutigen wirtschaftspolitischen Praxis muss das einseitige Prinzip der Spezialisierung immer häufiger zu widerspruchsvollen Entscheidungen führen, die nur dann sich vermeiden lassen, wenn durch ein System wieder einfache, allgemeine ökonomische Grundprinzipien zur Herrschaft gelangen.

Der politische Tagesstreit ist heute auch deshalb so ausserordentlich kompliziert, weil die Vertreter der Mittelstandspolitik ihre ökonomischen Begriffe zumeist dem Freihandelssystem entlehnen, trotzdem ihre politischen Forderungen auf ganz anderer Basis stehen. Neue und mehr zutreffende ökonomische Grundbegriffe jedoch lassen sich nur auf dem Wege einer systematischen Durchdenkung des gesamten Gebietes der Volkswirtschaft erschliessen.

Das Organ aber, mit dessen Hilfe allein aus dem gesammelten Baumaterial der einheitliche Bau eines Systems gefügt werden kann, ist die Methode. Und deshalb wenden wir uns zunächst mit unseren weiteren Ausführungen zur nationalökonomischen Methoden - Lehre.



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