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         Vorbemerkung: Es gibt offenbar zwei prinzipiell verschiedene Arten politisch zu denken, von denen die eine als politisch–juristische, die andere als politisch–naturwissenschaftliche Methode bezeichnet werden kann. Die politisch–juristische Denkweise liegt namentlich den Staatsmännern und Politikern in den modernen Verfassungsstaaten recht nahe. Dem Wortlaut der Verfassung gemäss hat ein bestimmter Teil der Bevölkerung das politische Wahlrecht. Die Aktionen im politischen Leben werden in vielfacher Hinsicht beurteilt nach der Wahlbetätigung dieser berechtigten Bevölkerung. In den meisten wichtigeren Fragen ist die Regierung an die Zustimmung einer parlamentarischen Majorität gebunden. Verfassungsmässig haben wir in den verschiedenen Parteien eine durchaus gleichberechtigte Volksvertretung zu erblicken. Um daraus Majoritäten zu bilden, empfiehlt es sich, auch die Forderungen der verschiedenen Parteien als prinzipiell gleichberechtigt zu betrachten, um dann durch all diese Verschiedenheiten eine „mittlere Linie“ in der Weise zu legen, dass sich darauf eine parlamentarische Mehrheit vereinen lässt. Das alles ist so einfach und naheliegend, dass es fast als selbstverständlich erscheinen möchte. Und doch ist diese heute auch in fast der ganzen nationalökonomischen Literatur vertretene Methode eine in hohem Maasse bedenkliche. Der z.B. immer noch andauernde und sonst geradezu unverständliche Streit der Wissenschaft über Schutzzoll und Freihandel kann nur durch die allgemeinere Anwendung dieser politisch-juristischen Denkweise eine verzeihliche Erklärung finden. 
 Es gibt aber auch im Völkerleben Abweichungen von
          der Norm. Diesen Zustand bezeichnet die
          politisch-naturwissenschaftliche Auffassung als
          „krank“, im Gegensatz zu
          „gesund“. Eine ernstere Erkrankung des
          Volkskörpers ist sicher dort eingetreten, wo sich
          wesentliche Teile des Volkes ernst bekämpfen. Der
          Zustand des Klassenkampfes, den die heute
          herrschende Nationalökonomie als etwas
          selbstverständlich Gegebenes betrachtet, muss nach
          politisch-naturwissenschaftlicher Auffassung als ein
          in hohem Maasse bedenklicher krankhafter
          Zustand bezeichnet werden, der mit allen
          verfügbaren Mitteln tunlichst bald zu beseitigen
          ist. Unter diesem Gesichtswinkel sind die Forderungen der
          verschiedenen Parteien keineswegs immer gleichberechtigt.
          Nur die Forderungen der noch gesunden Volksteile
          können gleichwertig erscheinen. Wo die Krankheit
          einzelne Volksglieder schon stark erfasst hat, sind in
          der Regel auch die Forderungen derselben durch und durch
          krank. So z. B. der Antrag der Homosexuellen auf
          Aufhebung des § 175 des R.St.G.B. Und wie der gute Arzt die Krankheit
          bekämpft, um den Körper zu heilen, so muss
          unter ähnlicher Voraussetzung auch der gute
          Staatsmann krankhafte Parteiforderungen nicht nur
          abweisen, sondern das Ziel seiner aktuellen Politik darin
          erblicken, diese krankhaften Erscheinungen verschwinden
          zu machen. Eine politische „mittlere Linie“
          zwischen gesunden und  Aus dem griechischen und römischen Altertum hat die Kirche die organische Auffassung des Staates und der Volkswirtschaft übernommen. Der Lehensstaat wie auch der Ständestaat waren ein vortrefflich organisiertes organisches Gebilde. Hier schließt heute jene Spezialliteratur an, welche in der Vorbemerkung zum Abschnitt A. Seite 5 und 6 dieses Bandes genannt wurde. Die aus der Entwickelungsgeschichte der Völker vorausgeschickten Tatsachen zwingen uns weiter zu folgenden wichtigen Schlussfolgerungen: 1. Die in Raum und Zeit verschiedensten Völker zeigen in ihrem Niedergang wesentlich gleichartige Krankheitssymptome. Schon daraus kann die Vermutung abgeleitet werden, dass die verschiedensten Völker der Geschichte volkswirtschaftlich an derselben Krankheit zu Grunde gegangen sind. 2. Die zahlreichen Versuche hervorragender Politiker und Staatsmänner, die volkswirtschaftlichen Verhältnisse ihres Landes zu heilen, lassen klar erkennen, dass diese Heilung dauernd nur dann gelingt, wenn sie in logisch konsequenter Weise durchgeführt wird und mit ihr eine zweckdienliche Vorbeugung gegen Rückfälle (Prophylaxis) sich verbindet. Wo ein noch so energisch eingeleiteter Heilungsprozess unscheinbare Eiterreste übergeht, zeigen sich alle Hoffnungen auf ein Gesunden trügerisch. Das Gleiche gilt für jede erfolgreiche Heilung ohne eine anschliessende kraftvoll vorbeugende Politik. Bei keinem Organismus sind andere Beobachtungen zu erwarten. 3. Wo die Krankheitssymptome die gleichen sind und die gleichen therapeutischen Maßnahmen sich bewähren, da muß auch die Diagnose gleich lauten. Und wie nennen wir diese völkermordende
          Krankheit? Die heutige Nationalökonomie lässt
          diese Frage unbeantwortet. Wie schon im I. Band, S.
           34 und 35 und S. 158 ff.
          betont wurde, gefällt sich das moderne
          nationalökonomische Spezialistentum darin, in seinen
          Monographien jedes Symptom als eine selbständige
          Krank 
            *      *      *
           
          
          
          Als mit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die Getreidepreise in Mitteleuropa sich zu senken begannen, lag zum Mindesten für den preishistorisch geübten Blick die Vermutung nahe, dass es sich um einen so häufig beobachteten Wechsel der sieben fetten und sieben mageren Jahre handle. Die alttestamentarische Geschichte von Josef in
          Egypten weist zwar schon darauf hin, dass dieser
          natürliche Wechsel der Jahre durch
          Vorratsansammlungen ausgeglichen wird. Und weitblickende
          Fürsten, wie Friedrich der Grosse,
          haben auch erfolgreich mit Hülfe staatlicher
          Getreidevorräte eine Politik der mittleren
          Getreidepreise in den natürlichen Wechsel der Jahre
          aus In Presse, Literatur und Parlament hatte sich zunächst die sogenannte „Ueberproduktionstheorie“ eingenistet. „Wir werden überschwemmt mit Getreide.“ In allen sogenannten Konkurrenzländern, wie Nordamerika, Russland, Indien, war eine fast unheimliche Zunahme der Getreideproduktion oder doch des Getreideexports zu beobachten. Tatsächlich zeigten sich auch da und dort lokale Stauungen der Getreidebewegung, welche den herrschenden Glauben an die Ueberproduktion in Getreide zu stützen schienen. Trotzdem konnte von einer Ueberproduktion in Getreide ernstlich nicht gesprochen werden. Was versteht man überhaupt unter Ueberproduktion?
          Offenbar: einen Zustand, in welchem die Produktion dem
          Bedarf mehr oder minder wesentlich vorausgeeilt ist. Aus
          diesem Grunde musste die ungarische
          Mühlenvereinigung vom 1. Oktober 1897 ab ihre
          Produktion um 50%
          einschränken. So war die deutsche Spiritusindustrie
          vor ihrer Produktionseinschränkung im Syndikat mit
          einem unverkäuflichen Spiritusvorrat gleich
          25% der Jahresproduktion
          belastet. So erzeugte die deutsche Zementindustrie 1901
          etwa die doppelte Zementmenge des wahrscheinlichen
           Die Weizenausfuhr aus Argentinien stieg: 
 Damit war Weizen in Mitteleuropa fast unverkäuflich geworden. Im Oktober 1894 fiel der Weizenpreis für die Tonne an der Berliner Börse auf den unerhörten Tiefstand von 120 Mark — trotz des deutschen Weizenzolles von 35 Mark. — 1891 hatte Berlin einen Jahresdurchschnittspreis von 224 Mark pro Tonne Weizenlieferware. Den mitteleuropäischen Landwirten hat man damals allen Ernstes den Rat gegeben, an Stelle des Weizenbaues Viehzucht und Handelsgewächsbau zu treiben. Welche Weizenmenge hatte das Gefühl der Ueberproduktion im Markte hervorgerufen? Die argentinische Weizenausfuhr war von rund 400'000 To. im Jahre 1891 auf rund 1 Million To. im Jahre 1893 gestiegen. Das ergibt für den Weltweizenmarkt eine Exportzunahme um 600'000 To. Die Weltweizenernte von 1893 wird auf 66 Millionen To. geschätzt. Der argentinische Weizenexport hatte mithin die Weizenmenge auf dem Weltmarkt von 1891 bis 1893 um nicht ganz 1% vermehrt. Offenbar kann in einem solchen Falle von einer Ueberproduktion gar nicht gesprochen werden. Eine andere Vorstellung von der Ueberproduktion in
          Getreide knüpft an die vorhanden gewesenen oder noch
          vorhandenen Flächen „jungfräulichen
          Bodens“ an. Aber  
 
 In diese Verhältnisse des alten Getreidemarktes hat der Ausbau der modernen Verkehrswege mit der fortschreitenden Verbilligung der Transportkosten, mit der immer grösseren Raschheit und Sicherheit des Güter-, Personen-, Zahlungs- und Nachrichtenverkehrs gewaltige Veränderungen gebracht. An die Hauptmärkte Mitteleuropas wurden alle übrigen Teile der Erde zu einem Weltmarkt für Getreide angegliedert. Jetzt war es unmöglich geworden, durch eigene Augenscheinnahme an der Ware selbst die Lage des Marktes zu beurteilen. Die Mengen, wie auch die räumliche Verteilung des fraglichen Getreides mussten diese Prozedur ausschliessen. So ist denn jetzt an die Stelle der Besichtigung der Ware selbst die Nachricht über die Ware getreten. Die Gesamtheit der im Markte vorhandenen Nachrichten nennt man die Marktmeinung. Und die Marktmeinung bestimmt den Preis. All diese Umwandlungen liegen erst wenige Jahrzehnte
          hinter der Gegenwart zurück. Die
          Haupteisenbahnlinien in Europa und Nordamerika wurden in
          den sechziger und  Jetzt war die Beteiligung des spekulativen
          Privatkapitals an der Preisbildung für Getreide
          freigegeben. Die Freihandelstheorie hatte gesiegt.
          Und speziell für den Freihandel mit Getreide
          verkündete man die Lehre: Der Weltmarkt für
          Getreide habe in jedem Monat eine neue Ernte. Die
          Getreidefelder der ganzen Erde würden nie
          gleichmässig von einer Missernte heimgesucht.
          Deshalb käme für den Getreideweltmarkt die
          Gefahr einer Missernte nicht mehr in Betracht. Extreme
          Preisschwankungen, wie in früheren Zeiten, seien
          fortan ausgeschlossen. Die Bewegung der Getreidepreise
          werde eine stetigere sein. Das spekulative Privatkapital
          hat sich jetzt vor allem des internationalen
          Nachrichtendienstes für den Getreidemarkt
          bemächtigt. Dem ging zur Seite die moderne
          Organisation der Lieferungsgeschäfte, welche in den
          führenden modernen Getreideterminbörsen eine
          grossartige Organisation des Blankoangebots erhielten.
          Das alles war international zu Anfang der achtziger Jahre
          des letzten Jahrhunderts fertig geworden. Inzwischen
          hatte sich im mitteleuropäischen Mühlengewerbe
          der Prozess der Umwandlung der alten Kundenmühle in
          eine Handelsmühle ausgebreitet, wodurch der
          Nur-Müller der alten Zeit auch Getreide- und
          Mehlhändler geworden war mit einer früher
          ungekannten Ausdehnung der Lieferungsgeschäfte in
          Getreide und Mehl. Die führenden
          Getreidetermin Inzwischen war bei den Landwirten wenig oder nichts zur Anpassung an die veränderten Marktverhältnisse geschehen. Die „guten Männer“ und der „Martinischlag“ kamen nicht mehr in Betracht. Sie waren mit dem alten Lokalmarkt verschwunden. So wandte sich denn die Produktion vertrauensvoll an den Handel mit der Frage: „Was gilt mein Weizen?“ Wenn es hoch kam, wussten die Landwirte den Marktpreis vom vorhergehenden Tage. In den unteren Donauländern und in Russland stellten die Bauern dem Getreideaufkäufer ihre Ware auf seine Wage mit der Bitte: „Sage mir Väterchen, wieviel das ist und was Du mir dafür geben kannst?“ In Indien blieb es eine Aufgabe der Zauberer, den Rayot über die Menge seines geernteten Getreides aufzuklären. Kann es überraschen, dass die neue Preisbewegung auf dem Getreidemarkte wie eine dämonische Welle über die Landwirte aller Länder hereingebrochen ist? Bald da, bald dort zeigten sich lokale Stauungen im Verkehr. Das heimische Getreide war für den Moment unverkäuflich. Dazu das ganz allgemeine Gerede von der riesigen Ueberproduktion in Getreide. Wachsende Mutlosigkeit bemächtigte sich der Getreidebauern international. Der Börsenpreis herrschte fast unbeschränkt. Damit hatten die Baissespekulanten an den führenden Terminbörsen das Heft in Händen. Das Erntejahr 1890/91 brachte zwar wieder bessere Preise. Aber diesen folgte, 1893, 1894, 1895 der fast hoffnungslose Tiefstand der sogenannten argentinischen Konkurrenz. 
 
 Der deutsche Kartoffelpreis aber wird im Wesentlichen
          bestimmt durch die 4%, welche im
          Markte für die Stärkefabrikation erworben
          werden! Es sind also geradezu lächerlich
          kleine Warenmengen, welche auf den Marktpreis einen
          bestimmenden Einfluss ausüben. Um so
          bedenklicher müssen jene Marktorganisationen wirken,
          welche das Angebot vervielfältigen. So ist es bei
          den mittleren und kleinen Getreidemühlen Sitte, auf
          je 5 bis 10 Tonnen Tagesvermahlung schon einen
          Mehlverkäufer zu halten, während bei den
          Grossmühlen auf je 90 bis 100 Tonnen Tagesvermahlung
          erst ein Mehlverkäufer kommt. Nürnberger
          Bäcker, welche ihr Mehl von auswärts beziehen,
          werden öfter an einem Tag von etwa sechs Agenten der
          umliegenden Mühlen besucht. Wenn so das Mehl
           Weit richtiger als die unerwiesene und unerweisbare
          Phrase: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis! trifft
          auch heute noch ein altes Sprichwort aus dem XVI.
          Jahrhundert den Nagel auf den Kopf: „Geld
          macht den Markt!“ Das Geld beherrscht den
          nationalen wie internationalen Marktnachrichtendienst und
          bestimmt damit die Marktmeinung. Die Herrschaft des
          Geldes über die Marktnachrichten scheidet die
          Marktinteressenten in die kleine Zahl der
          „Wissenden“ und in die Masse der
          „Unwissenden“, auch „Hammelherde“
          genannt. Die Höhe des Zinsfusses ist eine der
          wichtigsten Voraussetzungen  Um das geradezu Ungeheuerliche der heutigen
          Getreidepreisbildung durch das spekulative Kapital
          allgemeiner verständlich zu machen, ist es
          notwendig, einen nirgends existierenden Zustand zu
          konstruieren. Man denke sich ein sehr grosses Restaurant,
          in welchem der Wirt als Erzeuger der Speisen und als
          Eigentümer der Getränke darauf verzichtet
          hätte, auf seiner Speise- und Weinkarte die Preise
          der bei ihm käuflichen Waren bestimmt und klar
          festzusetzen. Diese Preisnormierung sei einer Rotte von
          Spekulanten überlassen, welche sich am Büffet
          in der Regel aufhalten. Es sei um die Mitte des
          Vormittags, Gäste sind nur wenige oder keine da.
          Aber der Wirt lässt zur leichteren Befriedigung
          einer grösseren Nachfrage um die Mittagszeit die
          Vorräte an Speisen und Getränken anwachsen.
          Sofort beginnen die Spekulanten die Preise für diese
          Speisen und Getränke herabzusetzen. Noch mehr! Eben
          diese Spekulanten haben nach Analogie der
          Terminbörsen-Usancen das unbeschränkte Recht,
          auf dem Papier beliebig grosse Mengen Speisen und
          Getränke anzubieten, die sie garnicht besitzen.
          Dadurch fallen natürlich die Preise noch tiefer. Das
          bringt den Baissespekulanten  Die Freihandelslehre hat sich aber auch in ihrer
          speziellen Begründung des Freihandels in Getreide
          als ein Irrtum erwiesen. Es ist nicht wahr, dass durch
          den Welthandel mit Getreide ein so grosses Gebiet
          umschlossen sei, dass Missernten nicht mehr zu
          befürchten wären. Wir haben innerhalb zehn
          Jahren zweimal eine internationale Missernte in Weizen
          gehabt: 1897/98 und 1907/8, welche  Die Festsetzung der internationalen Wechselkurse, der Kurse für Papiergeld und Silber sind diesem überlassen. Dazu kommen die Schuldaufnahmen des Staates und der Kommunen bei den Privatbanken. Der Zusammenwirkung dieser Faktoren verdanken wir die bedenklichen Schwankungen der Währungswerte. Die eigentliche Ursache der ungesunden Preisbildung für Getreide liegt also in der führenden Stellung, welche hierbei das spekulative Privatkapital einnimmt, oder, um es noch allgemeiner auszudrücken: in dem heute herrschenden Kapitalismus. 
 Welcher Einfluss brachte nun eine so weitgehende Herabsetzung der Getreidetransporttarife zustande? Die Eisenbahnen wurden zumeist als Privatbahnen
          gebaut. Die Grundsätze, welche in der
          Eisenbahntarif Als die Getreidepreise in Mitteleuropa unter die Gestehungskosten der Landwirte gesunken waren, begann die Periode der Getreidefinanzzölle. Um diese Zölle auszugleichen, wurden neuerliche Transportkostenermässigungen durchgesetzt. Denen folgten höhere Zölle in Mitteleuropa und bald neuerliche Verbilligungen des Getreidetransportes. Die daraus naturgemäss entsprungene Kampfesstimmung der verschiedenen Nationen konnte nur mühsam durch den Abschluss von Handelsverträgen verdeckt werden. In Nordamerika, wo die Ferntarife zu den Lokaltarifen das Verhältnis von 1 zu 100 erreichten, und wo man das Getreide auf grössere Entfernungen zu so billigen Sätzen verfrachtete, dass kaum die Kohlen in der Lokomotive damit bezahlt wurden, blieben periodisch schwere finanzielle Krisen der Bahngesellschaften nicht aus. 1893/94 haben die Bahnen der Union mit einem Fehlbetrage von 46 Millionen Dollars abgeschlossen und am 1. Juli 1895 befanden sich 169 Gesellschaften mit einer Bahnlänge von 37'856 englischen Meilen und einem Anlagekapital von 2'432 Millionen Dollars in Konkurs. Die russischen Bahnen erforderten 1896 einen Staatszuschuss in der Höhe von 140 Millionen Rubel. Die indische Regierung hatte in dem gleichen Jahre den indischen Bahnen einen Staatsbeitrag von 28 Millionen Rupien zu leisten. Die finanziellen Gefahren für das eigene Land mussten es jetzt verbieten, die Getreideausfuhrtarife auch ferner wie bisher nach den Wünschen des spekulativen Privatkapitals zu gestalten. γ) Die kapitalistische
          Erschliessung der landwirtschaftlichen
          Konkurrenzländer. Es ist eine oft gehörte
           Das geschah etwa in folgender Weise: In den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts
          machten sich bekanntlich radikale wirtschaftspolitische
          Strömungen auf dem europäischen Kontinent
          geltend. Die dadurch erschreckten reichen Leute
          verwandelten ihr Vermögen in Gold und Silber und
          schickten es der Bank von England. Hier wusste man nichts
          besseres damit anzufangen, als es nach Nordamerika zu
          senden, wo man bald weniger um Geld, als um eine
          Gelegenheit seiner Veranlagung in Verlegenheit war. Da
          kamen die Amerikaner auf die Idee, diesen Goldzufluss zu
          Bahnbauten zu verwenden. Die amerikanischen Gesetze von
          1848 und 1849 erleichterten die Gründung von
          Eisenbahngesellschaften ausserordentlich und wiesen
          deutlich darauf hin, das fremde Geld in der Form von
          Obligationen zum Bahnbau zuzulassen. Eine Verschuldung
          des Aktienkapitals etwa um das fünfunddreissigfache
          schien dabei als normal betrachtet zu werden. Riesige
          Landschenkungen der Regierung an die
          Eisenbahngesellschaften trugen noch wesentlich zur
          Reklame und zur Kurstreiberei der Eisen Als der Zusammenbruch dieser Kreditwirtschaft im Jahre
          1856/7 kam, war das gewaltige Mississippital durch
          Schienenwege bereits erschlossen. Nun folgte eine
           für die moderne Erschliessung der
          jungen Kulturländer höchst
          charakteristische Bevölkerungsverschiebung.
          Die Einwanderungsreklame hatte zur Zeit des Aufschwungs
          die europäischen Auswanderer bis auf 170'000
          Köpfe pro Jahr anschwellen lassen, die zunächst
          überwiegend in den Städten Aufnahme fanden. Zur
          Zeit der Krisis hörte diese Zuwanderung ganz auf, an
          ihre Stelle trat sogar eine Rückwanderung. Jetzt
          waren viele Hunderttausende in den Städten brotlos
          geworden, die im Interesse ihrer Selbsterhaltung die
          Offerte der Bahngesellschaften angenommen haben, im neuen
          Westen Landwirte zu werden. Die Zahl der Nichtlandwirte
          nimmt deshalb rasch wesentlich ab, die Zahl der Landwirte
          vermehrt sich entsprechend. Mit ihr steigt die
          landwirtschaftlich benützte Fläche, und wenige
          Jahre später, nachdem die neuen Landwirte sich in
          ihren neuen Beruf eingelebt haben, schnellt die Welle der
          Weizenausfuhr nach Europa rasch an. 1830 war der
          Weizenexport der Union noch 5 Millionen Bushels, 1856/7
          kam die Krisis, 1860 stieg die Weizenausfuhr auf 15,9
          Millionen Bushels, 1861 auf  
 
 Der Weizen- und Weizenmehlexport der Union betrug: 
 Das Unheil der nordamerikanischen Konkurrenz war über die mitteleuropäische Landwirtschaft hereingebrochen. Jetzt ist die europäische Auswanderung nach Nordamerika erst recht angeschwollen und erreichte 1882 das Maximum mit 730'349 Personen. Der Bahnbau mit Hilfe des europäischen Kapitals nahm neuen Aufschwung. 1884 waren bereits 125'152 Meilen in der Union in Betrieb. Jetzt wurde die heutige Kornkammer Nordamerikas, Minnesota und die beiden Dakotas, erschlossen. Heute ist das nordamerikanische Eisenbahnnetz etwa gerade so gross, wie die Bahnlinien der ganzen übrigen Welt zusammengenommen. Eine grosse nordamerikanische Eisenbahnkrisis fällt namentlich noch in die Jahre 1893/95. Aber auch zwischen diesen Jahren und dem Jahre 1873 gibt es häufige Bahnkonkurse. Die nordamerikanischen Eisenbahnkönige machten sich gegenseitig die Beute streitig, namentlich durch Bahntarifkämpfe und Börsenmanöver. So sind nach Poor von 1856 bis zur Gegenwart die nordamerikanischen Eisenbahnen etwa mit über 42 Milliarden Mark in Konkurs geraten. Daran war das europäische Kapital mindestens zur Hälfte beteiligt. In Indien und Russland hat der Staat keine nordamerikanische Gründerfreiheit beim Bahnbau gestattet. Deshalb ist die landwirtschaftliche Konkurrenz aus diesen Ländern nie in gleichem Masse schwer auf dem Weltmarkt empfunden worden. Desto ungestörter konnten die gewohnten kapitalistischen Orgien in Argentinien gefeiert werden. 
 
 Die Einwanderung stieg während der
          Gründerperiode bis auf 220'360 Personen 1889. 1890
          begann die Krisis. 1891 erreichte die Rückwanderung
          44'124 Köpfe. Gleichzeitig setzte die so
          charakteristische Binnenwanderung ein, welche durch
          Abnahme der nicht landwirtschaftlichen Bevölkerung
          und Zunahme der Landwirte die Weizenausfuhr aus
          Argentinien von 22'806 Tonnen im Jahre 1891 auf über
          1 Million Tonnen im Jahre 1893 anschwellen liess. Der
          Papierpeso, welcher 1883 und 1884 pari mit dem Goldpeso
          gehalten wurde, ist im Oktober 1894 so tief im Kurse
          gesunken, dass hundert Goldpeso mit 464 Papierpeso
          bezahlt werden mussten. Weil aber in Argentinien der
          Papierpeso gesetzliches Zahlungsmittel war, wirkte die
           Aus all diesen Entwicklungstatsachen müssen folgende wichtige Schlüsse gezogen werden: 
 Als die Zeit reif geworden war, dem landwirtschaftlichen Grundbesitz in Deutschland die letzten lehensstaatlichen Fesseln zu lösen, brachte man sein Kreditproblem in die Formel: Möglichst viel und möglichst billigen Kredit! Es handelte sich damals darum, die weitvorausgerückte landwirtschaftliche Produktionstechnik der Engländer einzuholen. Der intensivere Betrieb erforderte eine wesentliche Erhöhung des investierten Kapitals. Auch die Einführung der technischen Gewerbe in der Landwirtschaft kostete Geld. Den strebsamen Lohnarbeitern sollte das Aufsteigen in die Reihe der Grundbesitzer tunlichst erleichtert werden. Zu alldem war viel und billiger Grundkredit nötig. Die hypothekenrechtlichen Bestimmungen wurden vereinfacht, das Subhastationsverfahren tunlichst abgekürzt, eine Reihe von Grundkreditinstituten neu errichtet und in der verschiedensten Art staatlich unterstützt. Kredit war Kapital und Schulden Reichtum geworden. α) Die
          Rodbertus’sche Kreditnot des Grundbesitzes.
          Mitten in der Freude über diesen neuen Fortschritt
          veröffentlichte Rodbertus seine von ihm
          beobachtete neue Kreditnot des
          landwirtschaftlichen Grundbesitzes. In den 40er Jahren
          des letzten Jahrhunderts war der allgemeine Zinsfuss
          gefallen. Auf gute Hypotheken wurde gern zu billigem Zins
          Geld auf Grundbesitz geliehen. Dann stieg der Zinsfuss
          mit der industriellen Entwicklung. Die Kapitalisten
          kündigten deshalb den Landwirten ihre Hypotheken, um
          das Geld der höher rentierenden Industrie oder dem
          Staatskredit zuzuwenden. Wer dann als Grundbesitzer
          für die gekündigten Hypotheken keinen Ersatz
           Der intensivere Landwirtschaftsbetrieb hat inzwischen den landwirtschaftlichen Grundbesitz aus einem ewigen Rentenfonds in ein Arbeitsprodukt verwandelt. Damit ist tatsächlich den Rodbertus’schen ewigen Rentenbriefen die theoretische Begründung entzogen worden. Aber den Vorteil unkündbarer Hypotheken haben die deutschen Landwirte vielfach dem Auftreten Rodbertus’ zu danken. β) Die herrschende
          Kreditnot des landwirtschaftlichen Grundbesitzes.
          Inzwischen mehrten sich weiter die Wohlhabenheit und der
          Reichtum des Volkes. Um Geld für sichere Hypotheken
          kam niemand in Verlegenheit. Durch die grössere
          Leichtigkeit der Schuldaufnahme stiegen — wie bei
          der Börse die Kurse der Börsenwerte — die
          Preise auf dem Grundstücksmarkte. Dadurch wurden
          bald die zuerst unsicheren und gewagten Hypotheken so gut
          wie sichere Forderungen. Die Verschuldung des
          landwirtschaftlichen Grundbesitzes mehrte sich. Die
          Schuldaufnahme diente ganz überwiegend als
          Restkaufschillinge und Erbschaftsgelder dem Zwecke der
          Besitzausgleichung. Es wurde mehr und mehr Sitte, bei der
          Besitzübernahme bezw. bei dem Grunderwerb allen
          verfügbaren Kredit aufzubrauchen. Folgten dann gute
          Jahre mit steigenden Preisen der landwirtschaftlichen
          Produkte,  Dieser heute leider sich immer mehr ausbreitende
          Spekulationsmarkt für landwirtschaftliche
          Grundstücke bestimmt nun allgemein die Preise
          für den Verkehr mit Grund und Boden unter Lebenden
          wie im Erbgange. Wenn der reich gewordene
          Grossindustrielle für seine Luxusbedürfnisse
          ein Rittergut in schöner Gegend, mit See, altem
          Park, prächtigem Landhaus und angenehmer Jagd um
          100'000 bis 200'000 Mark überzahlt, so
          mag  Vom Ganzen des Grundmarktes aus betrachtet,
          ermöglicht die heute zu Recht bestehende Freiheit
          der Verschuldung und Veräusserung der
          landwirtschaftlichen Grundstücke den Andrang der
          Besitzlosen als Bewerber um die kleinen und kleinsten
          Parzellen. Die Landwirte werden deshalb hier am Markte
          verdrängt und auf den Erwerb grösserer
          Grundflächen angewiesen. Und so fort in der ganzen
          Stufenleiter des Marktes. Die Besitzlosen können
          wenig oder nichts verlieren, während die
          Gewinnstchancen für sie offen bleiben. Diese Leute
          wagen deshalb am meisten. Sie bieten die höchsten
          Preise für die kleinsten Grundstücke, wie aus
          dem gleichen Grunde die  γ) Die drohende
          landwirtschaftliche Betriebskreditnot. Auch in
          Deutschland herrscht — trotz aller
          Schutzzölle und der sozialen Gesetzgebung —
          das kapitalistische System der Volkswirtschaft. Die
          Verwaltung des mobilen Vermögens des deutschen
          Volkes ist im wesentlichen den Privatbanken
          überlassen. Diese Privatbanken entscheiden, wie viel
          Kredit Handel und Industrie im Lande, wie viel den
          ausländischen Staaten und Unternehmungen, oder der
          Spekulation in Börsenwerten zufallen soll. In ihrer
          Hand ruht im wesentlichen der internationale
          Zahlungsausgleich. Und sogar die deutschen Staaten und
          das Reich lassen sich von den Privatbanken die
          Bedingungen diktieren, zu denen ihr Kredit im Markte
          Aufnahme findet, und von den Börsen unter Leitung
          der Privatbanken die Kurse für ihre Staatsanleihen
          festsetzen. So ist naturgemäss auch der Zinsfuss in
          deutschen Landen durch die geschäftlichen
          Dispositionen unserer Privatbanken beherrscht. In den
          80er Jahren war die Politik der Banken darauf gerichtet,
          die höher verzinslichen Staats- und Rentenpapiere in
          niedriger verzinsliche umzuwandeln, um dadurch das Geld
          der deutschen Sparer aus den alt gewohnten  Einige Stimmen waren der Meinung, Deutschland besitze nicht genügend Goldgeld. Nach dem Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich hat Deutschland im Rechnungsjahr 1906 einen Reichsmünzenbestand in Gold von 4,349 Millionen Mark besessen. Frankreich, das heute noch mit einem Zinsfuss von 4% auskommt, hat nach dem Schatzamt in Washington 1906 nur 3,890 Millionen Gold zur Verfügung. Also kann für Deutschland kaum der Mangel an Goldmünzen den teuren Geldstand erklären. Anders liegt das Verhältnis im Bestand an Silbermünzen. Deutschland hat 1906 im Ganzen für 850'787'000 Mk.; Frankreich für 1'726'620'000 Mk. Silbergeld. Das ist mehr als die doppelte Menge und gleicht den Mehrvorrat an Goldmünzen in Deutschland von 459 Millionen Mark reichlich aus. Trotzdem wird es nicht möglich sein, die Höhe eines Zinsfusses von 8 1⁄2% aus diesen Zahlen zu rechtfertigen. Näherliegend ist scheinbar eine Erklärung,
          welche sich den Metallbeständen der Hauptbanken
          zuwendet. Die Deckung der Noten und der fremden Gelder
          durch Metall erreichte seit 1890 in der Deutschen
          Reichsbank ihren höchsten Stand im
          Jahresdurchschnitt 1895 mit 63,4% bei einem Vorrat von 704 Millionen Mark
          Gold und 306 Millionen Mark Silber — ihren tiefsten
          Stand im Jahresdurchschnitt 1906 mit  Sehen wir uns die Handelskammerberichte für das Geschäftsjahr 1906 an und zwar für Berlin (S. 25), Frankfurt a. Main (S. 47, 52 bis 56), Köln (S. 120), Münster (S. 128/29), Chemnitz (S. 82), so wird übereinstimmend in erster Linie die überspannte Börsenspekulation in New-York, welche tägliches Geld mit 100% und höher zu bezahlen bereit sei und dadurch Geld aus Europa heranziehe, für den aussergewöhnlich teuren Geldstand verantwortlich gemacht. Daneben verlange England für die von der deutschen Spekulation eingegangenen Engagements in Minenaktien Zahlung. (Nach Schätzung von Sachverständigen für 1906 sollen etwa 45'000 deutsche Spekulanten mit ungefähr 450 Millionen Mark an den südafrikanischen Goldminen beteiligt sein. Von 40'000 Minengesellschaften, welche in den letzten 10 Jahren in England eingeführt wurden, mussten 15'000 liquidieren mit einem Verlust von etwa 5 Milliarden Mark.) Aber auch diese Tatsachen können nicht die
          eigentliche Ursache dafür sein, dass die Deutsche
          Reichsbank  Neben diesem internationalen Freihandel in Gold, bei
          drohender Goldausfuhr nach Nordamerika, spielt eine nicht
          minder grosse Rolle das Uebermass an Spekulationen
          in Deutschland selbst. Wir haben im vorhergehenden
          Abschnitt die Gründe kennen gelernt, aus denen die
          jährliche Sparkraft des deutschen Volkes heute
          für kaum mehr  
        1902    1903    1904    1905    1906
        ====================================
        2103    1892    2430    3150    2765  Mill.  Mk.
          Dazu kommen für eben diese Jahre neue ausländische Börsenwerte, abzüglich der Umwandlungen: 
        1461     604    1119    4937     888  Mill.   Mk.
          Lassen wir aber auch diese Emissionen in ausländischen Papieren ganz ausser Rechnung, weil es nicht möglich ist, zu erfahren, wie viel von diesen Werten zu einem bestimmten Zeitpunkte in Deutschland untergebracht waren, so bleiben für die letzten fünf Jahre immer noch 12'340 Millionen Mark Börsenwerte übrig, welche neu auf den deutschen Markt geworfen wurden. Das deutsche Volksvermögen war aber in diesen Jahren nur für fünf Milliarden Mark neue Wertpapiere aufnahmefähig. Mithin hat in dieser Zeit eine Ueberemission von mindestens 7340 Milliarden Mark stattgefunden. Dieser Betrag kann als „Anlagewert“ vom deutschen Volke nicht aufgenommen worden sein. Er „schwimmt“ also im Markte, wo er mit Hülfe eines Spekulationskredites von Milliarden über Wasser gehalten wird. Auch auf diesem wichtigen Punkte weichen die deutschen Verhältnisse sehr wesentlich von jenen Frankreichs ab. Richard Calwer gibt im zweiten Teile seines „Wirtschaftsjahr 1905“ zum ersten Male die internationale Emissionsstatistik in tabellarischer Form. Darnach haben 
 
 Endlich ist in diesem Zusammenhange noch eine veränderte Politik unserer Grossbanken seit den letzten Jahren zu erwähnen. Georg Bernhard hat in einem Artikel des „März“ (2. Heft 1907) über die „Wurzel der Geldnot“ nachgewiesen, dass die Parole unserer Grossbanken in der Krisis 1900 „sanieren“ hiess. Man hat dadurch den drohenden Zusammenbruch vieler Unternehmungen abgewendet und die Zeitdauer der Krisis sichtlich verkürzt. Das alles erforderte aber eine entsprechend erhöhte Inanspruchnahme des Kredits, wie die Ziffern des Wechselbestandes der Reichsbank bezeugen. Deshalb konnten sich jetzt, in der Zeit der Erholung nach der Krisis, keine grösseren Barbestände in den Kellern der Banken ansammeln, wie das nach früheren Krisen die Regel war. Und als die Ueberspekulationen der Börsen und Banken wieder einsetzten, kamen unsere Geldverhältnisse um so rascher zu einem Kulminationspunkt. Die Zwischenzeit bis zur neuen Krisis musste sich verkürzen. Wir nähern uns damit einem Zustande der Krisis in Permanenz mit fast andauernd teuerem Geldstande. Für die Geldbesitzer mag dieser Zustand gar nicht unangenehm sein. — Wie aber steht es mit dem Einfluss solcher Ereignisse auf den Personalkredit der Landwirte? In der preussischen Zentralgenossenschaftskasse ist
          ein kapitalkräftiges Institut geschaffen worden, das
          innerhalb  Nach dem „Jahrbuch des Reichsverbandes der
          deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften für
          1905“ war der Gesamtumsatz der Spar- und
          Darlehnskassen in Einnahmen und Ausgaben
          2 1⁄2
          Milliarden Mark. Nach der Berufszählung von 1895 gab
          es über 2 1⁄2
          Millionen selbständig erwerbstätige Landwirte.
          In den Kreditgenossenschaften sind mithin nicht ganz die
          Hälfte und namentlich nicht die grösseren
          Besitzer zusammengeschlossen. Man wird also das
          Personalkreditbedürfnis der deutschen Landwirte in
          Einnahmen und Ausgaben pro Jahr auf weit über 5
          Milliarden Mark veranschlagen können. Davon wird
          heute schon mindestens die Hälfte einen Zinsfuss
          statt von 4 bis 4 1⁄2%,
          von 6 bis 9% und mehr zu tragen
          haben. Mit jedem weiteren Monat anhaltender
          Geldverteuerung mehrt sich der Kreis der Teilnehmer an
          dieser Personalkreditnot. Damit steigt in erhöhtem
          Masse die Kreditkostenlast auf den Schultern der
          deutschen Landwirte. Die schwächeren Existenzen
          werden daran zugrunde gehen,  Was aber ist der Grund dieses schweren Uebels? Nach dem Vorausgeschickten kann die Antwort kaum zweifelhaft sein. Die Herrschaft des spekulativen Privatkapitals über die Verwaltung des mobilen Vermögens, über die Zuteilung des Kredites, über die Deutsche Reichsbank, über die Ereignisse an den Börsen, über die Bewegung des Zinsfusses und also kurz gesagt: der herrschende Kapitalismus trägt die eigentliche Verantwortung an der heute bald allgemeiner drohenden landwirtschaftlichen Betriebskreditnot. Seit fünf bis sechs Jahrzehnten predigt der
          herrschend gewordene Kapitalismus dem deutschen Volke das
          Evangelium des Materialismus, der Spekulation und der
          Genusssucht. Bald ist dieser, bald jener vom Lande den
          Lockungen zur Abwanderung nach der Stadt oder nach dem
          Auslande gefolgt. Der eine hat in Nordamerika grosse
          Reichtümer erworben; der andere ist als
          Bäckerbursche in die Stadt gezogen und hat sich hier
          zu einem mehrfachen Hausbesitzer emporgeschwungen. Der
          dritte hat als Schlossergeselle angefangen und als
          reicher Fabrikbesitzer geendet. Gewiss sind gleichzeitig
          Tausende zu Grunde gegangen  Inzwischen werden die sich hier anheftenden
          Erscheinungen immer komplizierter. In den
          Grossstädten geht die natürliche
          Bevölkerungszunahme mehr oder minder rasch
          zurück. Diese Bewegung überträgt sich nach
          und nach auf das Land. Das langsame Aussterben der
          kapitalistisch gewordenen Völker, wovon die
          Weltgeschichte erzählt, kündigt sich an. Der
          Abzug der besten Arbeitskräfte vom Lande lässt
          die Leistungen der Arbeiter zurückgehen und die
          Armenlasten anwachsen. Der Mangel an einheimischen
          landwirtschaftlichen Arbeitern ruft Arbeiter vom Auslande
          herbei. Sie kommen nicht nur über die  Offenbar hat die wirksame Beseitigung eines jeden Uebels die richtige Erkenntnis der wirkenden Ursache zur unerlässlichen Voraussetzung. Die Abwanderung der Bevölkerung vom Lande ist eine naturnotwendige Folge der sich ausbreitenden Herrschaft des Kapitalismus, welcher das Volk zur Spekulation und zur Genusssucht erzieht. Das deutsche Reich hat 1877 mit 4%igen Anleihen begonnen, welche zu einem
          Kurse von 99,54 zur Ausgabe gelangten. Der Privatdiskont
          an der Berliner Börse war 1877 im Jahresdurchschnitt
          3,17%. Als dann dieser
          Privatdiskont auf 2,85% (1885),
          2,16% (1886) und sogar auf
          2,11% (1888) fiel, weil die
          Politik der deutschen Grossbanken in der Richtung eines
          billigeren Zinsfusses eingestellt war, begann 1885/88 die
          Ausgabe der 3 1⁄2%igen
          Reichsanleihen, welche am 27. August 1886 erstmalig zu
          einem Kurse von 103,75 freihändig verkauft wurden.
          Als dann 1890/93 der internationale argentinische Krach
          kam und unter dessen Einfluss der Berliner Privatdiskont
          auf 1,80% (1892) und
          1,74% (1894) zurückging,
          kam es zur Ausgabe 3%iger
          deutscher Anleihen, welche zuerst (im Oktober 1890) zu
          einem Kurse von 87 begeben wurden, Ultimo 1895 aber mit
          99,60 den Parikurs nahezu erreichten. Gegen Ende 1894
          waren die Reichsanleihen zum Terminhandel an den
          Börsen von London, Amsterdam und Brüssel
          zugelassen worden. Die üblichen Stimulationen,
          welche die Grossbanken der Börsenspekulation
          verabreicht haben, konnten die Kurse noch einige Zeit
          halten, trotz der wieder beginnenden Verteuerung des
          Geldes. Der Berliner Privatdiskont ging 1896 auf
          3,04%, 1897 auf 3,09%, 1898 auf 3,55%. Als aber 1899 und 1900 4,45% bezw. 4,41%
          folgten und der Wechselzinsfuss der Reichsbank 7%, der Lombardzinsfuss 8% erreichte, ging das Deutsche Reich
          wieder zu 4% eigene Anleihen
          zurück und verkaufte zunächst — unter
          Schonung des deutschen Marktes — 80 Millionen Mark
          in Nordamerika. Der Börsenkurs der 3%igen Reichsanleihen ist in diesem Jahre
          auf 84,90 gesunken. Dann kam 1902, 1903 und Anfangs 1904
          eine kurze Erholung des Geldstandes. Die 3%ige Reichs Der unermüdliche Statistiker Richard Calwer berechnete nach seiner „Wirtschaftlichen Korrespondenz“ vom 25. Oktober 1907 den Nominalbetrag der an der Berliner Börse zugelassenen Anleihen deutscher Staaten für 1904 auf 14,319 Milliarden Mark, den Kurswert dieser Anleihen Ende Januar 1904 auf 14,241 Milliarden Mark, den Kurswert dieser Anleihen Ende August 1907 auf 12,709 Milliarden Mark. Daraus ergibt sich ein Kursverlust von 1,532 Milliarden Mark. Für die Inhaber der deutschen
          Staatsschuldverschreibungen ist damit eine recht
          prekäre Situation entstanden. Sparkassen,
          Berufsgenossenschaften und andere Institute, welche
          grössere Beträge deutscher Staatsanleihen
          liegen haben, müssen auf diese Kursverluste
          entsprechend grosse Abschreibungen machen. Wo aber
          Verkäufe vorgenommen werden mussten, wie vor allem
          bei einem grossen Teil des Privatpublikums, blieben
          schwere Verluste um so weniger aus, je länger man in
          der Hoffnung, dass es wieder besser werden könne,
          mit dem Verkaufe gezögert hat. Die Belastung der
          Steuerzahler des deutschen Reiches hat sich für die
          neu aufzunehmenden Schulden von 3 auf 4% erhöht. Das Ansehen des deutschen
          Reiches soll nach dem Minister von
          Rheinbaben infolge dieser Kursbewegung der
          Reichsanleihen nicht gelitten haben, denn — so
          begründet der Minister diese Behauptung —
          während die deutsche 3%ige
          Anleihe von 97 im Jahre 1897  Man hat darauf hingewiesen, dass in Deutschland nicht in gleichem Maasse wie in Frankreich, England und Nordamerika die Depositen der Sparbanken, die Mündelgelder und ähnliche Fonds zur Anlage in Staatspapieren gesetzlich verpflichtet seien, und dass durch eine solche Massnahme der Kurs der deutschen Reichs- und Staatsanleihen wesentlich gehoben werden könnte. Aber, hiesse dies nicht, die Schwächen des Marktes der Staatsanleihen zum Teil auf die Schultern der Sparer und Mündel abwälzen ? Offenbar muss die Heilung auch der herrschenden Misstände im Staatskredit von der Beantwortung der Frage ausgehen: Was ist die Ursache dieser Kalamität? Da wird die Antwort an erster Stelle lauten müssen: Der Zinsfuss ist heute nicht mehr der direkte Ausdruck des zunehmenden Reichtums des Volkes. Die Vermögenszunahme in Deutschland darf heute nach C. Evert auf etwa 2 Milliarden Mark pro Jahr geschätzt werden und der Reichsbankzinsfuss ist seit 1902 fast dauernd bis auf 7 1⁄2 bezw. 8 1⁄2% im Dezember 1907 gestiegen. Das ist die unmittelbare Folge der Tatsache, dass der Zinsfuss Spekulationsobjekt der privaten Grossbanken geworden ist. Also ist in erster Linie das herrschende System des Kapitalismus für die Kalamitäten des Staatskredits verantwortlich zu machen. Es wurde ferner behauptet, viele Besitzer von
          Staatspapieren hätten diese verkauft, um
          industrielle Werte dafür  Andere sind der Meinung, dass die wesentlich
          gesteigerten Ansprüche der Industrie an den
          deutschen Geldmarkt den Zinsfuss so sehr verteuert
          hätten. Diese Auffassung wurde schon im obigen Abschnitte über
          die drohende landwirtschaftliche Betriebskreditnot als
          irrig erwiesen. Die Neuemissionen in Aktien und
          Obligationen der heimischen Industrie sind in den letzten
          vier Jahren um etwas mehr als das Doppelte gestiegen,
          während der von unseren Privatbanken für
          Spekulationszwecke gewährte Kredit sich in den
          letzten Jahren sicher verdoppelt hat. Dort handelt es
          sich 1906 um eine Gesamtemission von 708 Millionen Mark,
          hier im gleichen Jahre um einen Jahresumsatz von weit
          mehr als vier Milliarden Mark. Rechnet man hierzu, dass
          viele Neuemissionen der Industrie dazu dienten,
          gewährte Spekulationskredite der Banken zu
          begleichen, und dass die Ausgabe von 1180 Millionen
          landwirtschaftlicher Pfandbriefe (in 1905 und 1906) neben
          3653 Millionen Pfandbriefen der Hypothekenbanken (1902
          bis 1906) ganz überwiegend den Spekulationen im
          Grundstücksmarkte dienen, so kann es gar nicht
          zweifelhaft  Eine noch eindringendere Kritik der heutigen
          Kalamität des Staatskredites würde zu
          untersuchen haben: welche Gründe zu einer
          Verschuldung des Reiches und der deutschen Einzelstaaten
          in der Höhe von über 15 Milliarden geführt
          haben? und: warum die erforderlichen Mittel zur
          Schuldentilgung nicht auf dem Wege der Steuereinnahmen
          gedeckt werden konnten? Wir würden bei dieser
          Analyse mit jenen fortlaufend wachsenden Ausgaben uns zu
          beschäftigen haben für ein Programm, dessen
          Durchführung auf eine erfolgreiche Konkurrenz des
          deutschen Handels mit dem Welthandel der Engländer
          namentlich gerichtet ist. Hierher gehören auch jene
          Hunderte von Millionen, welche für den Bau von
          Wasserstrassen ausgegeben wurden, bevor
          unser geltendes Recht, das den Gewinn dieser
          Verkehrsverbesserungen ganz überwiegend den
          kapitalistischen Unternehmungen verschiedenster Art
          zuführt, abgeändert wurde. Die Steuerverfassung
          unserer Staaten zeigt uns wie ein historisches Museum
          eine Sammlung aller Steuern bis zurück in die Zeiten
          des Lehensstaates, aber nur keine einfachen klaren
          Steuerprinzipien, welche den neuzeitlichen
          Verhältnissen auf den Leib zugeschnitten wären.
          Daneben die fortschreitende Vernichtung des
          selbständigen Mittelstandes durch den herrschenden
          Kapitalismus, welche die Steuerkraft der breiten Massen
          des Volkes nicht zur Entfaltung kommen lässt,
          während die kleine Zahl der Reichsten tausend Wege
          findet, sich einer gerechten Besteuerung zu entziehen. So
          wird die soziale Not in weitestem Sinne des Wortes zu
          einer Not unserer staatlichen Steuerkassen. Statt die
          alten Schulden abzuzahlen,  Man kann die Beurteilung des Sozialismus der
          Wahlpraxis entnehmen. Hier steht die grosse Mehrheit der
          Parteien in schärfster Opposition zu den Vertretern
          des Sozialismus, den Sozialdemokraten: „Die Wahlen
          gegen die Sozialdemokratie werden mit Zähneknirschen
          gemacht,“ wie es Kammerherr von
          Oldenburg im Reichstage bezeichnet hat. Aus diesen
          scharfen Reibungen ist zu Bismarcks Zeiten das
          Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie entsprungen. Wo
          in solchem Maasse persönliche Antipathien in Aktion
          treten, bleibt kaum ein Raum für kausale
          Erwägungen. Man kann die Beurteilung des Sozialismus
          der einschlägigen Spezialliteratur entnehmen. Dann
          findet man, dass heute von den Sozialisten nur noch die
          Karl Marxschen Theorien in wissenschaftlichen
          Ausführungen vertreten werden, und dass inzwischen
          auch eine Reihe von Sozialisten erkannt hat, wie sehr
          diese Theorien zumeist in die Irre gegangen sind. Wer
          darauf seine Beurteilung baut, kommt zu dem Schlusse:
          „Der Sozialismus ist eine vorübergehende
          Erscheinung. Man muss dieser Bewegung nur Zeit
          lassen, dann wird sie von selbst verschwinden.“
          Diese Auffassung vergisst, dass die Masse der
          Sozialdemokraten ebenso wie die Masse einer jeden
          Glaubensgemeinschaft über das System der  Ein Rückblick auf die Lebensgeschichte der
          Völker kann diese Auffassung nur bestätigen. So
          lange das jüdische Volk eine
          gleichmässigere Grundbesitzverteilung besessen hat,
          gab es keine extremen Parteiungen. Erst als mit
          König Salomo der Reichtum und die Kapitalisten mit
          der Latifundienbildung ins Land gezogen waren, kam es zum
          Bürgerkriege, zur Spaltung des Reiches und dann zur
          assyrischen und babylonischen Eroberung. Nach
          Rückkehr der Juden aus der babylonischen
          Gefangenschaft wurde die drohende Verschuldung und
          Verknechtung des Volkes zuerst durch Nehemia und dann
          durch die Makkabäerbewegung wieder beseitigt. Unter
          der Oberherrschaft Roms war eine solche Sanierung nicht
          mehr möglich. Als jetzt mit der Herrschaft des
          Kapitalismus die Ungleichheit des Besitzes eine immer
          schreiendere wurde, nahm die anarchistische,
          kommunistische und sozialistische Bewegung rasch
          überhand. Fast keiner der Könige starb mehr
          eines natürlichen Todes. Die Essäer verwarfen
          Ehe und Eigentum,  Sehr ähnliche Erscheinungen begegnen uns in der
          römischen Geschichte. Als die Quiriten
          sich nach und nach zur altrömischen Feldmark den
          damals bekannten Erdkreis erobert hatten, war
          natürlich auch die Kriegsbeute zu einer vorher nie
          erreichten Höhe angewachsen. Weil aber gleichzeitig
          die Masse der Bürger verarmt ist, standen sich in
          der Hauptsache sehr viele Arme und sehr wenig Reiche
          gegenüber. Die Verarmung des Volkes machte diese
          Bürger für Bestechungen zugänglich. Das
          Proletarier- und Söldnerheer stand demjenigen
          Heerführer zur Verfügung, welcher den
          grössten Beuteanteil versprechen konnte. Mit dieser
          Voraussetzung begannen die römischen
          Bürgerkriege, welche eine sehr wesentliche
          Neuverteilung des Besitzes zum Ziele hatten.
          In schier endlosen Proskriptionen und
          Vermögenskonfiskationen wurden durch mehr als ein
          halbes Jahrhundert (88 bis 31 v. Chr.) den Reichsten
          Leben und Vermögen genommen. Mit der
          Alleinherrschaft des Augustus kam diese Bewegung zum
          vorläufigen Abschluss, um bald darauf als
          kaiserliches Mittel zur  Das islamitische Weltreich zeigt in
          seiner Entwicklungsgeschichte das sozialistische Gesetz
          der „Expropriation der
          Expropriatöre“ in konsequentester
          Durchbildung. Zunächst wurde das Volk der Araber als
          Räuberhorde organisiert, um möglichst viele
          Länder zu erobern und dauernd auszuplündern.
          Dann wird dem arabischen Volke das auf diese Weise
          gewonnene Einkommen durch den Kalifen entzogen. Damit
          verschärft sich der blutige Kampf um den
          Kalifenthron innerhalb der Prophetenfamilie. Der einzelne
          Araber wird so darauf angewiesen, als Beamter oder
          Händler, oder Unternehmer aller Art, sich tunlichst
          zu bereichern. Waren die so gesammelten Reichtümer
          gross geworden, so gefiel es dem Kalifen, diesen
          Privatreichtum der Staatskasse zuzuführen. Die
          Reaktion auf solche Zustände führte zur
          umfassenden Organisation eines weitverzweigten
           Bundes der Anarchisten, welche
          hier den Namen „Assassinen“ führten, zu
          denen sich die kommunistischen Sekten der Zendiken, der
          Moskaditen, des Ismaeliten u.s.w.
          gesellten. Weiter wurde es notwendig, dass der
          „Fürst der Gläubigen“ zu seinem
          persönlichen Schutze sich fremde Soldtruppen hielt,
          die bald die anarchistische Rolle der römischen
          Prätorianer zu spielen wussten, und ihrerseits den
          Kalifen auszuräubern begannen, bis schliesslich die
          selbständig gewordenen  In der christlich-germanischen Welt waren sozialistische Strömungen unbekannt geblieben, bis durch die Beziehungen zu dem islamischen Weltreiche im X., XI. und XII. Jahrhundert der Kapitalismus und die kapitalistische Wirtschaft auch hier Eingang gefunden hat. Die Geldwirtschaft und der übermässige Geldreichtum sind der Boden, auf dem allein sozialistische Ideen wachsen und wuchern können. Beide Voraussetzungen waren zuerst in Ober-Italien und Süd-Frankreich gegeben. Hier zeigten sich deshalb naturgemäss die ersten sozialistischen Ansätze, welche auch gegen die reiche Kirche gerichtet waren und deshalb als Ketzerbewegungen bekämpft wurden. (Siehe das Nähere in dem Abschnitt „Kapitalismus in der Kirche“, II. Band, Seite 178 bis 214.) Durch diese Verfolgungen verbreiteten sich die Anhänger dieser Lehre über die mittleren und nördlichen Staaten Europas. Das erwachende Staatsbewusstsein war einer Bekämpfung der alten Kirche günstig. Und so führte schliesslich diese Bewegung, mit oder ohne kirchliche Reformation, zu dem gewaltigen Prozess der „Expropriation des Kirchengutes“. Inzwischen war der absolute Fürst der reichste
          Kapitalist im Lande geworden, welcher auch den Anspruch
          auf Gut und Blut aller Bürger erhoben hat. Wo dieser
          Rechtsanspruch im Sinne einer masslos gesteigerten
          Herrschsucht und Genussucht des Fürsten geltend
          gemacht wurde, blieben die anarchistischen Reaktionen in
          der Form von Meuchelmord und Bürgerkriegen nicht
          aus, denen die „Expropriation der kleinen
          Fürsten“ durch die Grossen folgte. In
          den grossen Staaten kam es schliesslich zur politischen
           Damit ist die Bahn für eine Herrschaft des Kapitalismus in der Gesellschaft freigegeben. Ueberall regt sich die masslose Erwerbssucht und Habgier der Menschen, die bald den Mitbürgern nicht mehr zum Vorteile gereicht, sondern zur allgemeineren Knechtung, Verschuldung und Ausbeutung führt, während die Reichsten einen immer massloseren Luxus entfalten. Und schon zeigt sich auch überall das rasche Emporwachsen der sozialistischen Strömungen, deren Ziel auf eine „Expropriation der Expropriatöre“ gerichtet ist. Wie unter solchen Umständen der Sozialismus als eine „vorübergehende Erscheinung“ bezeichnet werden kann, wird aus der geschichtlichen Entwickelung der letzten Jahrtausende jedenfalls nicht ersichtlich. Aber — eine vorübergehende Erscheinung kann der Sozialismus werden, wenn es gelingt, den heute herrschenden Kapitalismus in der Gesellschaft ebenso zu beseitigen, wie der Kapitalismus vom Fürstenthrone und aus der Kirche beseitigt worden ist. Denn der Sozialismus war immer und überall nur eine Folgeerscheinung, und zwar eine Degenerationserscheinung des herrschend gewordenen Kapitalismus, die naturgemäss nach Beseitigung der Krankheitsursache von selbst verschwindet. Die Friedensbewegung unserer Tage hat es zuwege gebracht, dass im Haag wiederholt Friedenskonferenzen der Staaten abgehalten wurden, zu welchen der russische Kaiser eingeladen. Es kamen Beschlüsse zustande über den Begriff kriegsgerechter Waffen, über die Begrenzung von Krieg und Frieden durch die Kriegserklärung, über die Sicherheit des Privateigentums im Kriege usw. Im weiteren zielten diese Besprechungen der staatlichen Delegierten sogar auf staatliche Schiedsgerichtsverträge und Abrüstungsverträge! Vom entwickelungsgeschichtlichen Standpunkt betrachtet, ist durch all das ausserordentlich viel erreicht worden. Wer hätte vor wenigen Jahren noch solche Konferenzen staatlicher Delegierter für möglich gehalten! Gegenüber der gewaltigen Grösse des Friedensproblems und gegenüber der unbestreitbaren Tatsache, dass mit der fortschreitenden Intensität des Weltverkehrs die Zahl der kriegerischen Konflikte unter den gegebenen Verhältnissen wachsen muss, bedeuten die Haager Beschlüsse freilich herzlich wenig. Man kann es deshalb begreifen, dass ein Münchener Witzblatt die Resultate der letzten Haager Abrüstungsreden in der Bemerkung zusammenfasste: „Wonderfull, John! Deine Seifenblase ist die grösste!“ Selbst die Schiedsgerichtsverträge, welche eine Reihe von Staaten gegenseitig abgeschlossen haben, behalten für die Fälle vitaler Interessen oder der Ehrenkränkung die Entscheidung des Streitfalles durch die Waffen vor. Alle Kolonialkriege und die Bürgerkriege verschiedenster Art bleiben von den internationalen Abmachungen der Staaten selbstverständlich ausgeschlossen. Also scheint der Krieg mit seinen Vorbereitungen auch nach dem offiziellen Friedensprogramm eine dauernde Einrichtung zu sein. 
 Der heute herrschende Kapitalismus in der
          Gesellschaft bedeutet ewigen Krieg. Jeder echte
          Kapitalist strebt, wie einst Cäsar, nach der
          Weltherrschaft. Das liegt begrifflich schon in der
          Unersättlichkeit seiner Habgier. Aus der stetig
          wachsenden Zahl der Welteroberer ergibt sich eine
          quadratisch wachsende Zahl wirtschaftlicher Konflikte,
          zunächst schon innerhalb der Familie, wo sich die
          Geschwister und Verwandten schamlos gegenseitig
          übervorteilen, dann innerhalb der Gemeinde, wo der
          Nachbar den Nachbarn um sein Vermögen bringt, dann
          innerhalb der Provinz und innerhalb des Staates in den
          tausend Formen des unlauteren Wettbewerbs, der
          Verleumdung, der Spekulation aller Art, bis zu den
          Streiks der Lohnarbeiter, dem vergifteten Kampfe der
          politischen Parteien und dem immer kostspieligeren Ringen
          der Staatsgewalt mit der rasch wachsenden Zahl von
          Verbrechern  Die Kriege sind Lösungsversuche wirtschaftlicher Fragen in kapitalistischem Sinne. Namentlich die griechische Geschichte ist angefüllt mit blutigen Kämpfen um neue Märkte und neue Absatzwege für Handel und Industrie. Alle Schlachten der niedergehenden römischen Republik wurden geschlagen auf Befehl kapitalistischer Welteroberer. Die blutigen Kolonialkriege des XVI. und XVII. Jahrhunderts sind naturgemäss aus dem Seeraub hervorgewachsen. Das Wesen unserer modernen Kolonialkriege wurde an anderer Stelle bereits dargelegt. Plato hat also immer noch Recht: „Es entstehen uns fast alle Kriege um des Geldes Besitz“! Schauen wir in die Zukunft, so drohen vor allem die
          grossen Entscheidungsschlachten zwischen den
          führenden Welthandelsstaaten Deutschland und England
          auf der einen Seite, Nord-Amerika und Japan auf der
          anderen Seite des Meeres, denen aber auch Kriege zwischen
          Deutschland und Nord-Amerika, zwischen England und Japan
          zugerechnet  Die entscheidende Frage der Friedensbewegung lautet: Wird es gelingen, den heute herrschenden Kapitalismus aus der Gesellschaft zu beseitigen? Dann mag der Friede mit der Politik der offenen Türe zwischen den Staaten und Völkern herrschen; denn der Friede ist in diesem Falle von dem Einzelnen ausgehend, in der Familie, Gemeinde und Provinz, von unten auf sicher fundiert. Bleibt aber das kapitalistische Erwerbssystem herrschend, dann müssen die Zeiten der ewigen Kriege fortdauern trotz aller Friedenskonferenzen. Wir haben in Vorhergehendem die Ursache der landwirtschaftlichen Krisis untersucht und dabei für jene Erscheinungen, die man in der Regel in Bausch und Bogen einheitlich erledigen zu können glaubt, sieben Unterscheidungen als notwendig erkannt. Die sogenannte landwirtschaftliche Krisis will aufgelöst sein in: 
 Auf dem Grunde all dieser sieben sachlich
          notwendigerweise zu trennenden Misstände ist uns
          der herrschende Kapitalismus als eigentliche
          Krankheitsursache begegnet. Dann hat unsere
          Betrachtung drei öffentlichen Fragen sich
          zugewendet, welche nach der üblichen Auffassung weit
          auseinander liegen: der Staatskreditkalamität, dem
          Sozialismus und dem Friedensproblem. Und abermals musste
          schliesslich ganz die gleiche Diagnose:
          „Folgeerscheinung des herrschenden
          Kapitalismus“ gestellt werden. Also werden
          wir wohl jetzt zu der Vermutung berechtigt sein,
          dass alle oben für die Gegen Bei den alten Völkern, wie bei den Völkern der Gegenwart konnten drei Arten des Kapitalismus beobachtet werden: der Kapitalismus des Handels- und Leihkapitals, der Kapitalismus des Industriekapitals und der Kapitalismus des Bank- und Börsenkapitals. Die Periode des Handels- und Leihkapitals brachte das arbeitende Volk durch Wucherrecht und Wucherzins mit Hungersnotpreisen für Getreide in schwere Verschuldung und persönliche Abhängigkeit von den Kapitalisten. Die Periode des Industriekapitals zielte auf eine Proletarisierung des Mittelstandes in Stadt und Land ab und schuf die abhängigen Arbeitermassen in den Städten, auf dem Lande grosskapitalistische Latifundien. Die Periode des Bank- und Börsenkapitals vollendete die Abhängigkeit des Staates von den Grosskapitalisten durch Wahlbestechungen und Gelddarlehen aller Art, um sich das Recht der Wucherfreiheit zu sichern und die Machtmittel des Staates zur Beitreibung seiner Wuchergewinne im In- und Auslande zur Verfügung zu haben. Die Kapitalisten sind mithin, wie schon
          Schaeffle betont hat, parasitäre
          Erscheinungen. Ein Volk von Kapitalisten ist
          undenkbar. Als echte Parasiten haben sie zu ihrer
          Existenz ein „Wirtsvolk“ nötig. So
          begegnen wir bei dem jüdischen Volke, als es noch
          agrarisch war, den Phöniziern und Kanaanitern als
          Kapitalisten. Dann fanden sich die jüdischen
          Händler und Geldwechsler auf  a) Dass die Kapitalisten darnach trachten,
          möglichst das ganze Volksvermögen in
          „Ware“ zu verwandeln, ist  b) Bei diesem „Wellengekräusel der
          Preise“ bleibt es nicht. Die Spekulation neigt in
          ihren Bewertungen fortwährend zu Extremen schon
          deshalb, weil sie die „ahnungslosen“
          Volksmassen zur Teilnahme wachruft. Neigt die
          Preisbewegung nach abwärts, so verbreitet die
          Börsenpresse eine solche Mutlosigkeit im Volke, dass
          es sich gar nicht voraussehen lässt, wie billig die
          Ware werden kann. Welcher Fachmann hätte in den 80er
          Jahren geglaubt, dass die Tonne Weizen in Berlin im
          Oktober 1894 bis auf 120 Mark sinken könnte? Eine
          solche übermässige Baissebewegung musste
          international zu einer übermässigen
          Einschränkung des Weizenbaues führen. Und als
          das 1897/98 Tatsache geworden war, sahen kühne
          Grosskapitalisten ihre Aufgabe darin, die Weizenpreise
          ebenso  c) Von Nordamerika her hat sich in den letzten
          Jahrzehnten unter den Kapitalisten der Grundsatz
          verbreitet: „business is better than boom!“
          „Ein regelmässig fortlaufendes Geschäft
          ist besser als zeitweilige ausserordentliche
          Gewinne!“ Seitdem ist der Kapitalismus bestrebt,
          die Erzeugung von Massenartikeln für das Volk durch
          Syndikate und Trusts monopolartig zu beherrschen, um
          daraus dauernd übermässige Gewinne (Mehrwerte)
          zu ziehen. Namentlich die Zeiten allgemeiner Krisen sind
          die Zeiten der Ausbreitung solcher Syndikate und Trusts.
          Auch die fortschreitende Konzentration der deutschen,
          österreichischen, englischen und nordamerikanischen
          Grossbanken ist eine Art Syndikatsbewegung auf dem
          Geldmarkte, welche die Entstehung neuer Syndikate auf
          anderen Gebieten direkt begünstigt und sogar
          erzwingt, wie der typische Fall der
          Phönixwerke in Laar bezeugt. Als zu
          Beginn des Jahres 1904 sich der Stahlwerksverband
          bildete, wollten die Phönixwerke nicht beitreten. Da
          kauften die an dem Zustandekommen dieses Syndikats
          wesentlich interessierten Grossbanken die Mehrheit der
          Phönixaktien auf, und eine dann vom Aufsichtsrat
          zusammenberufene ausserordentliche Generalversammlung
          beschloss, gegen die eindringlichen Gründe der
          Direktion, den Beitritt zum Stahlwerksverband. Die
          westfälischen Stahlwerke hat die Nationalbank
          für  d) Das Kapitalistenrecht trennt in der Aktiengesellschaft, wie in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung und in ähnlichen Organisationen den Geldwert eines Unternehmens von der Arbeit. Die Arbeit wird dann in ihrer Entlohnung in der Regel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen. Der Zuwachs in der Produktivität auf Grund allgemeiner volkswirtschaftlicher Fortschritte pflegt als Kapitalgewinn berechnet und vereinnahmt zu werden. Diese durchaus antisoziale wucherische Betrachtung der Dinge ist uns heute so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass man diesen Verteilungsmodus des Ertrages zwischen Kapital und Arbeit in „Ertragswertanschlag“ als etwas ganz „Ehrenhaftes“ zu betrachten gewohnt ist. Die Sache wird schon deutlicher bei der Ausgabe neuer
          Aktien oder Anteilscheine. Ein grosses angesehenes
           Noch mehr enthüllt sich das Wesen dieser
          Kapitalgewinne bei sogenannten
          Gründungsvorgängen. Als Beispiel soll eine
          Gründung aus 1898 dienen, deren Einzelheiten erst in
          jüngster Zeit bekannt geworden sind. (Siehe
          „Frankfurter Zeitung“ vom 25. und 31. Oktober
          1907.) In Mannheim hat der Eigentümer einer
          mittleren Seilfabrik die Herstellung quadratischer Seile
          erfunden und sich patentieren lassen. Am 2. Dezember 1897
          verkaufte dieser Mann seine Fabrik mit seinem Patent an
          den Generaldirektor der Mannheimer Aktiengesellschaft
          für Seilindustrie um 142'500 Mk. Im Auftrage des
          Käufers verwandelte  Bei dem privaten Grundbesitz kommt es zur Trennung zwischen Geldwert und Arbeit in jedem Falle der Handänderung. Der Landwirt, welcher seinen Besitz verkauft, hört in diesem Augenblicke auf, als landwirtschaftlicher Produzent zu denken. Er trachtet vor allem, möglichst teuer zu verkaufen. Zwischen Verkäufer und Käufer begegnet uns deshalb auch hier der scharfe Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit. Bei Verpachtungen gilt häufig das gleiche für das Verhältnis zwischen Verpächter und Pächter. Die Baugrundstücke im Umkreis der grösseren Städte erscheinen schon fast als „reines Kapital“, das bei jeder Handänderung, auch ohne Hinzurechnung von wirklichen Arbeitsleistungen, eine entsprechende Preiserhöhung erfahren soll, bis schliesslich 1 ha Land, welches vor wenigen Jahrzehnten mit 600 bis 1000 Mk. bezahlt wurde, Millionen Mark kostet. So wurde z.B von der „Pommernbank“ das sogenannte Wollanksche Terrain in Pankow 1898 mit 5 Millionen Mk. erstanden. 1899 wurde dieser Besitz auf 10,33 Millionen Mk., 1900 auf 21,07 Millionen Mk. „geschätzt“ und mit 21 Millionen Mk. beliehen. 
 Wie gross sind etwa im Durchschnitt pro Jahr diese kapitalistischen Umwandlungen der „Arbeitserträge“ in „Geldgewinne“ innerhalb Deutschland? Die in den fünf Jahren 1902 bis 1906 an die deutschen Börsen gebrachten Aktien von Banken, Eisenbahnen und Industrieunternehmungen erreichten im Jahresdurchschnitt etwa 550 Millionen Mark. Nehmen wir für unsolide und solidere Emissionen im Mittel einen Mehrwert von nur 100% des Nominalkapitals an, so wird auf diese Weise das deutsche volkswirtschaftliche Konto „Arbeitsertrag“ um 550 Millionen Mark mehr pro Jahr nach Kapitalistenrecht gekürzt. Die durch keinerlei Investierungen und Arbeitsaufwendungen motivierten Grundpreissteigerungen dürfen erfahrungsgemäss etwa der Hypothekenzunahme gleichgestellt werden, wobei der schuldenfreie Besitz den Betrag der nachweisbaren berechtigten Aufwendungen ausgleichen mag. Die Zunahme der Hypothekenschulden des gesamten deutschen Grundbesitzes (Stadt und Land) haben wir oben für die Jahre 1900 bis 1906 auf jährlich 2,66 Milliarden Mark kalkuliert. Das ergibt mit dem „Mehrwert“ der jährlich emittierten Aktien zusammen rund drei Milliarden Mark, welche dem Konto „Arbeitsertrag“ des deutschen Volkes jährlich als „Geldgewinne“ abgezogen werden. e) Daneben läuft eine Reihe schwerster
          Schädigungen der produktiven Arbeit des deutschen
          Volkes. Die Kon f) Der herrschende Kapitalismus bedeutet den ewigen Unfrieden in der Gesellschaft, der in einer wachsenden Zahl von Rechtsstreiten deutlichen Ausdruck findet. Im Jahre 1905 waren nach der amtlichen Statistik in Deutschland an den verschiedenen Instanzen 3'111'373 Prozesse anhängig geworden. Rechnen wir für beide Parteien als Verluste an Zeit und Gesundheit, als Kosten der Prozessführung und Verurteilung, als uneinbringbare Kosten des Staates für jeden Rechtsstreit nur 200 Mark, so wird das deutsche Volk durch seine leidigen Prozesse jährlich um über 500 Millionen Mark geschädigt. g) Dazu kommt die wachsende Verschuldung des Volkes. Das deutsche Reich und die deutschen Bundesstaaten
          haben sich in den 30 Jahren 1875 bis 1905 um rund 12
          Milliarden Mark mit Staatsschulden neu belastet. Das
          macht im Durchschnitt pro Jahr 400 Millionen
          Mark. Diese Schulden müssen aufgenommen
          werden, weil die Steuerkraft der Volksmasse sich
          ungenügend entwickelt,  Die neuen Anleihen der deutschen Provinzen und Städte dürfen nach dem vorher angeführten statistischen Material auf jährlich abermals 400 Millionen Mark geschätzt werden. Diese Mittel werden hauptsächlich aufgebraucht für Schulen, Friedhöfe, Schlachthäuser, Strassenbahnen, Gas- und Wasserleitungen, sowie für Kanalisation und Arbeiterwohnungen; m.a.W. dieser Mehraufwand der Städte und Provinzen steht ganz wesentlich im Zusammenhange mit der starken Abwanderung der Bevölkerung vom Lande nach der Stadt und mit der ungenügenden Steuerkraft des Volkes. Beides aber sind wesentliche Merkmale des Kapitalismus. Die jährliche Mehrbelastung des deutschen Grundbesitzes um 2,66 Milliarden Mark haben wir bereits als Grundrentenzuwachs kennen gelernt. An Obligationen der Banken, Eisenbahnen und industriellen Unternehmungen sind im Durchschnitt der fünf Jahre 1902 bis 1906 jährlich etwa 300 Millionen Mark an den Deutschen Börsen zur Ausgabe gelangt. Das Schuldnerkonto der 143 deutschen Banken, für welche der „Deutsche Oekonomist“ die statistischen Uebersichten veröffentlichte, zeigt für 1906 als Wechsel-, Lombard- und Debitoren-Konto, unter Einrechnung eines entsprechenden Teils der Zunahme der Akzepte und Konsortialbeteiligungen gegen das Jahr 1905 eine Erhöhung um rund 2 Milliarden Mark. Unter der Annahme, dass die durchschnittliche Dauer dieser Schuldverhältnisse drei Monate ist, ergibt sich daraus eine jährliche Schuldzunahme um 500 Millionen Mark. Soweit hier Schuldner im Auslande mitgerechnet sind, mögen sie an Stelle derjenigen inländischen Schuldner gezählt werden, welche durch unsere Kalkulation nicht erfasst wurden. 
 Rekapitulieren wir die Kosten des herrschenden Kapitalismus, welche die ehrliche Arbeit des deutschen Volkes jährlich zu tragen hat, so erhalten wir: 
 Hierzu gehört noch eine Reihe von
          Schädigungen des Volkes in unschätzbarem Werte.
          Die wachsende Schuldenlast und damit die wachsende
          Abhängigkeit des Volkes raubt nur zu vielfach die
          Lust an der Arbeit und an der schöpferischen
          Tätigkeit. Das gleiche gilt von der wachsenden
          Verfeindung der Volkskreise. Die immer grössere Zahl
          von Schuldverschreibungen geben den Grossbanken
          tausendfache Gelegenheit, aus ihren Vermittlerdiensten
          steigende Gewinne zu ziehen. Die Zeit der
          Ueberspekulation   | 
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